Von der weißen Dame auf der Krüzkoppel bei Schönberg

Auf der Pfarre von Schönberg diente eine arme Waise.
Einmal weideten die Kühe auf der „Krüzkoppel“. Das ist die Koppel, auf der das Steinkreuz gestanden hat, das jetzt bei der Kirche in Schönberg steht. Es ist ja ein Sühnekreuz für einen Mord. Und deshalb fürchteten sich die Leute auch ein bisschen vor dem Ort, an dem es gestanden hatte.
Das Mädchen musste in den nebligen Morgenstunden nun dort ganz allein die Kühe melken. Doch sie war fest im Glauben und um sich zu bestärken, sang sie bei der Arbeit immer fromme Lieder. Gerade zum Johannistag, der auch noch auf einen Sonntag fiel, sang das Mädchen das Lied: „Jesus nimmt die Sünder an.“

Saget doch dies Trostwort allen
Welche von der rechten Bahn
Auf verkehrten Weg verfallen.
Hier ist was sie retten kann:
Jesus nimmt die Sünder an.
Keiner Gnade sind wir wert…..“

da hörte sie ein Geräusch. Sie sah auf und verstummte, denn aus dem Nebel vor ihr erstand eine Gestalt. Schlank und fein und ganz durchsichtig blass stand vor ihr eine feine Dame und sprach mit leiser Stimme: „Fürchte Dich nicht. Ich habe schon oft deinem Gesang gelauscht und Freunde daran gefunden. Sag, weißt du dieses fromme Lied auswendig ?“
Das Mädchen nickte mit offenem Mund. Zu keinem Wort war sie fähig.
„Bitte, dann sing es mir doch ganz und gar vor.“
Das Mädchen begann mit zitternder Stimme. Aber von Vers zu Vers wurde sie fester und sicherer. Und als sie beim achten Vers „… mich auch hat er angenommen und den Himmel aufgetan…“ sang, war ihre Stimme fest und klar und das Lied stand über der Wiese wie ein Dom.
Als sie geendet hatte sagte die Dame, die die ganze Zeit schweigend und mit gesenktem Kopf gelauscht hatte, leise: „Du hast mir eine große Wohltat getan. Ich danke dir. Wenn du schweigen kannst, so soll das dein Schaden nicht sein. Ich bin eine Verstoßene und muss schwer leiden. Doch du kannst mich vielleicht erlösen. Ich werde noch zwei Mal zu dir kommen. Ich kann nicht sagen wann und wo. Bleib reinen Herzens und fürchte dich nicht. Einmal wirst du alles verstehen.“ Mit den letzten Worten kam der Morgenwind auf und mit seinem Wehen verschwand die Gestalt.
Das Mädchen besann sich. Sie machte ihre Arbeit zu ende und brachte die Milch in die Pfarre. Sie erzählte niemandem von der wundersamen Geschichte. Sowieso hätte niemand ihr geglaubt und niemand hätte ihr auch nur zugehört. Jeden Tag ging sie zum Melken hinaus und jeden Tag sang sie alle die frommen Lieder, die sie gelernt hatte und auch immer wieder das bestimmte. Aber sie wartete vergeblich den ganzen Sommer hindurch. Die Erscheinung kam nicht wieder.
Der Herbst kam und die Kühe kamen in den Stall. Am Martiniabend saß das Mädchen allein im Stall und summte vor sich hin, auch mal wieder die Melodie dieses bestimmten Liedes. Sie war allein im Stall und hatte ihr Erlebnis vom Sommer fast vergessen. Da wurden die Kühe unruhig und als das Mädchen aufsah, stand die feine Dame im dämmrigen Licht des Stalles. Und wiederum bat sie um das besagte Lied. Das Mädchen sang ihr alle acht Verse und ihr ging dabei das Melken leichter von der Hand als sonst. Als sie das Lied beendet hatte, nahm sie den Melkeimer auf und trat zwischen den Kühen hervor. Aber da war die Dame schon so geräuschlos verschwunden, wie sie erschienen war.
Wieder verging die Zeit. Das Mädchen hatte Arbeit und Arbeit und keine Zeit von ihren Träumen zu reden. So kam die Weihnachtszeit heran und die Nacht der Jahreswende. In der Silvesternacht saß das Mädchen allein in seiner Kammer und blätterte beim Kerzenschein in ihrem Gesangbuch. Da hob sie den Blick und vor den Eisblumen im Fensterglas erblickte sie erneut die weiße Dame. Und wieder bat diese sie um das Lied. Das Mädchen konnte auch jetzt alle acht Verse singen.
Da sprach die Dame zu ihr: „Mädchen, du hast mich erlöst. Ich bin ein armes Fräulein. Mein Onkel hat mich verflucht, weil seine beiden Söhne sich einst zu gleicher Zeit in mich verliebten. Sie stritten sich und töteten sich beide. Zur Buße sollte ich so lange keine Ruhe finden bis sich eine fromme Waise findet, die mir dreimal zu verschiedenen Zeiten das Lied „Jesus nimmt die Sünder an“ vorsingen kann. Dies ist nun geschehen und nun bin ich erlöst. Ich will dich nun auch belohnen. Auf der Krüzkoppel ist ein Schatz vergraben. Suche ihn und er gehört dir.“ Damit verschwand die Dame und kehrte nie mehr zurück.
Das fromme Mädchen aber fiel auf die Knie und begann zu beten bis der Schlaf sie übermannte.
Sie hat niemals nach dem Schatz gesucht und es ist auch nicht bekannt geworden, dass dort ein Schatz gefunden worden ist. Also sollte der Schatz dort noch liegen?

„Und, hat sie den Schatz gefunden ?“ „Ist sie wohlhabend geworden?“ „Hat sie sich einen Hof gekauft ?“ „Hat sie ein Geschäft aufgemacht ?“ „Hat sie geheiratet ?“ „Wieviel war es ?“ Alle Frauen fragen durcheinander.
„Nein, nein,“ erwidert die Erzählerin, „sie hat nie danach gesucht. Er ist wohl später gefunden worden oder auch nicht. Weiß ich auch nicht.“ Sie hebt abwehrend die Hände.

Autorin: Dorothea Wende, aus „Märchen und Sagen des Ratzeburger Landes“

Von der weißen Dame auf der Krüzkoppel bei Schönberg - Plattdeutsch

Von der weißen Dame auf der Krüzkoppel bei Schönberg
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