Von der Schatztafel
Im Ratzeburger Land ging es den Bauern in den Jahrhunderten etwas besser als im übrigen Mecklenburger Land. Sie konnten bescheidenen Wohlstand auf ihren Höfen sammeln und hatten mitunter auch Zeit zum Träumen.
So träumte einmal ein Bauer, in seinem Garten wäre ein Schatz vergraben. Als er erwachte, vergaß er den Traum. Bei der Tagesarbeit gab es keine Zeit zum Träumen. Doch in der Nacht, als in der frühen Morgenstunde der Schlaf leichter wurde und flacher, da drang das Lied des Sprossers aus dem nahen Gebüsch an sein Ohr und sein schlafender Geist wurde leicht und strich durch den Garten, unter den alten Obstbäumen hindurch und fand wieder diesen Schatz.
Der Bauer fuhr auf und vom Rascheln des Strohs erwachte sein Weib: „Was hast Du, Mann!“ „Ach, Nichts.“ Er schlief wieder ein und hatte am Morgen seinen Traum vergessen. Ein Paar Nächte war der Schlaf dann zu tief, denn das Frühjahrespflügen kostete alle Kraft. Dann kamen Tage mit lang anhaltendem Regen, und die Sorge um die Frühjahresfurche ließ den Bauern auch in der Nacht nicht zur Ruhe kommen. Er wälzte sich hin und her und setzte sich auf. Seine Füße baumelten auf der scharfen Kante des Bettkastens. Sein noch halb schlafender Geist schlüpfte durch das Lüftungsloch unter der Traufe in den regennassen Obstgarten und - fand wieder einen Schatz.
Nun trieb es den Bauern aus dem Bett. Er trat vor die Tür – und der Regen hatte aufgehört. Die nassen Blätter glänzten im ersten Morgenlicht. Er ging in den Garten und grub an der Stelle, von der er geträumt hatte. Wie groß war sein Erstaunen, als er wirklich nach kurzer Zeit auf etwas Festes stieß. Vorsichtig entfernte er den letzten Boden mit den Händen. Er hob eine große Tafel aus der Erde, bedeckt mit eigentümlichen Zeichen. Der Bauer lachte, stieg aus der Grube und trug die Tafel ins Haus. Inzwischen waren auch die anderen Bewohner erwacht. Alle umstanden neugierig die Tafel.
„Na ja,“ sagt der Bauer,“dann lasst uns mal an die Arbeit gehen“.
Das Wetter besserte sich. Es kamen Tage mit warmen Sonnenschein. Die Frühjahresarbeit ging gut voran. Die Tafel blieb auf der Diele stehen. Nach ein paar Tagen nahm die Magd sie mit in die Sonne. Der Boden trocknete ab und die schönen fremden Zeichen kamen voll zu Geltung. Eines Abends nahm der Bauer die Tafel mit in die Stube und brachte sie zwischen den Fenstern an der Wand an. Dort schmückte sie die Stube viele Jahre.
Kein Traum störte mehr den Schlaf des Bauern. Er war fleißig und seine Familie gesund, das Vieh gedieh und die Äcker trugen gut. Kein Krieg überzog das Land und keine Seuche, die Handelswege waren sicher und der Absatz auf dem Markt der Stadt stabil. Auch Reisende kamen hin und wieder auf die Dörfer.
Eines Tages, als der Herbststurm das letzte Laub von den Bäumen fegte, schlugen die Hunde an und ein Student klopfte an das Dielentor. Ihm wurde Einlass gewährt. Er bat um ein Nachtlager und vielleicht eine warme Mahlzeit. Im Hause des Bauern ging es allen gut. Die Familie saß zum Abendessen in der Stube an dem langen Tisch und der Student sollte sich dazu setzen. Nachdem das Gebet gesprochen war, griffen alle zu ihren Löffeln, die an Schlaufen unter Tischplatte hingen. Dem Studenten hatte man einen Ersatzlöffel aus der Küche geholt. Die Milchsuppe wurde aus dem großen gemeinschaftlichen Topf gegessen und dazu Käse und Grobbrot geschnitten. Der Krug mit Leichtbier ging von Mund zu Mund. Als alle schweigend gegessen hatten, blieb der Bauer mit dem Studenten noch ein bisschen sitzen. Auch die anderen Familienmitglieder hörten gerne mal etwas Neues aus der weiten Welt. Die Frauen griffen das Stopfzeug, das Spinnrad oder Strickzeug und die Männer nahmen die Messer heraus und schnitzten Kienspäne, Löffel oder Harkenzinken. Die Bauersfrau ging in die Kammer an den Webstuhl. Die Tür blieb offen, auch sie wollte zuhören und außerdem sollte auch etwas Wärme aus der Stube in die Kammer ziehen. Jeder hatte sein Tun.
Der Student erzählte von der letzten Stadt und hiervon und davon und ließ seinen Blick durch die Runde schweifen. Im schwachen Licht konnte er kaum die Gesichter erkennen. Da blieb sein Blick an der Tafel zwischen den Fenstern hängen. Er ergriff die Lampe und trat näher: „Das ist aber ein interessantes Stück.“ Der Bauer brummte nur und lächelte in seinen Bart, als er an diese merkwürdigen Träume dachte.
Am anderen Morgen trug der Student die Tafel vor das Haus und im hellen Licht konnte er die Schrift erkennen - und entziffern. Die Tafel beschrieb die Lage eines Schatzes genau unter ihr! Jahrelang hatte die Tafel ihre Nachricht unerkannt dem Bauern kundgetan, nur weil er sie nicht lesen konnte!
Aufgeregt suchte man im Garten nach der Stelle, an der der Bauer vor Jahren die Tafel ausgegraben hatte. Man fand sie auch, und darunter ein kleines Vermögen in Goldtalern. Der Bauer konnte auch nach den Abzügen durch die Obrigkeit noch einigen Gewinn daraus ziehen.
Bis zu seinem Tode musste er lächeln, wenn er in den Frühlingsnächten gegen Morgen das Lied des Sprossers hörte und seine Familie hielt ihn auch deshalb für einen glücklichen Mann.
Autorin: Dorothea Wende; Einblicke LK NWM Heft 7