Der Eiertunnel von Bad Kleinen
Heute mag man es dem Ort am Eisenbahnknotenpunkt westlich des Schweriner Sees nicht mehr ansehen, aber zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts war der Ort Kleinen ein anerkanntes Kurbad am Ufer des Schweriner Sees und erhielt gerechter Weise den Zusatz „Bad“.
Fast zeitgleich wurde die Eisenbahnlinie errichtet. Das war dazumal kein Widerspruch, galt die Eisenbahn doch als fortschrittlich und die Anreise zum Kuren mit der Bahn als vornehm und chic.
Nun aber trennte die Bahnanlage den Ort mit seinen Pensionen vom eigentlichen See, und Umsteiger stehen auf den offenen Bahnsteigen frierend im kühlen Seewind.
Der ursprüngliche Kurpark ist durch den Bahndamm vom Seeufer getrennt. Dazu wurde dann aber gleich eine Personenunterführung gebaut.
Es entstand ein röhrenförmiger Tunnel, eine technische Kuriosität, im Volksmund schnell der „Eiertunnel“ genannt.
Durch ihn also konnten die vornehmen Kurgäste nach Massagen und Bewegungstherapien das reizvolle Seeufer erreichen. Sie konnten unter den alten Buchen wandeln und vom hohen Ufer aus nach dem Lindwurm im Schweriner See Ausschau halten. Von dem erzählen alte Sagen und Geschichten. Und manch wildes Wellenspiel, wenn es stürmisch war, und besonders auch dann, wenn der See sonst ruhig war, konnte schon den Eindruck des glänzenden Rückens eines Ungeheuers hervorrufen. Und über den See lief manchmal scheinbar grundlos eine heftige Welle.
Sicher auch Aufgeladen mit diesen Geschichten durchquerte einst ein junges Fräulein den Eiertunnel gerade zu dem Zeitpunkt, als oben auf dem Bahndamm ein Zug mit dem Pfeifen und Gefauch der üblichen Dampflock in den Bahnhof einfuhr. Unheimlich dröhnte die Erschütterung in dem immerhin 27 Meter langen und mit nur etwas mehr als 2 Metern Höhe und ein und ein viertel Metern Breite doch recht engen Tunnel, verstärkt durch das Echo. Das wird den „Echomännchen“ zugeschrieben, die in den Ritzen und Spalten des fast 40 cm dicken Mauerwerks hausen.
Die junge Frau geriet in Panik und klammerte sich hysterisch an einen jungen Mann, dem sie zufällig im Tunnel begegnete. Aus dieser Begegnung ist nun der Kunde nach eine glückliche Beziehung entstanden und brachte dem Tunnel der Ruf ein, ein „Ehestifter“ zu sein.
Unbekannt ist bisher geblieben, wie viele Junggesellen es im Tunnel versucht haben und fahrplanmäßig zur Zeit der Zugüberfahrten tapfer im Tunnel bereitstehen. Fledermäuse jedenfalls bevorzugen den Tunnel auch ohne seine beziehungsstiftende Wirkung zu kennen. Oder kennen sie sie vielleicht doch?
Der Name des rührigen Arztes, der mit Unterstützung des Großherzogs die Wasserheilanstalten in Kleinen errichtete, dem Ort den Namenszusatz „Bad“ erkämpfte und für die Errichtung der Personenunterführung sorgte, ist längst vergessen, aber der Tunnel unter den Bahnanlagen ist noch heute zu besichtigen.
Autor: Dorothea Wende