Der Steinkreis von Spornitz
Mit der letzten Eiszeit wurden durch das Eis aus dem hohen Norden verschiedene Gesteine bis in die südliche Ostseeregion geschoben. Diese „Geschiebe“ zeugen von den Gesteinsvorkommen im heutigen Norwegen, Schweden und Dänemark. Sie sind rundgeschliffen auf ihrem langen Weg und zurückgeblieben, als das Eis taute und sich nach Norden zurückzog. Das geschah vor zwölftausend Jahren. Seit die ersten Jäger durch die Tundra südlich der Eiskante zogen, mag dieser oder jener Stein verwendet worden sein zu rituellen Bauwerken.
Als die Menschen in dieser Gegend dann die ersten Felder anlegten und in schwerer Arbeit mit dem Holzpflug gute Erträge von den sandigen Äckern holten, waren die Steine auf jeden Fall schon da und an bestimmten Stellen auf wundersame Weise angeordnet.
Die Menschen lebten noch in gemeinschaftlicher Ordnung. Die kleinen, heizbaren Holzhäuser wurden im Kreis um den Anger gebaut und der Ertrag der Ernte in gemeinschaftlichen Speichern untergebracht. Damals gab es noch nicht solche großen Bauernhäuser, in denen Speicher, Stall und Wohnraum für eine Familie zusammen untergebracht war. Die Tiere wurden auf dem Anger gepfercht, und in den Wäldern auf dem schweren Böden unter Eichen und Buchen geweidet.
In den Sommernächten, wenn nach der Tagesarbeit die Pferde und Zugrinder der Bauern zur Weide in den Wald getrieben wurden, mussten diese Tiere bewacht werden. Es gab noch Wolf und Bär, und manchmal auch einen räuberischen Menschen. Zur Wache waren die Dorfbewohner immer reihum beauftragt. Einmal auch eine übermütige Schar junger Leute. Die nächtlichen Wächter wurden gut mit Wurst und Brot versorgt, bewachten sie doch wertvolles Gut aller.
Gegen Mitternacht legte sich einmal eine kleine Gruppe von sieben Jungbauern zur Mahlzeit nieder. Ruhig weideten die Ochsen und Pferde um sie herum. Die Jungen waren gesättigt und labten sich an dem reichlich mitgebrachten Kofent. Dieses schwache Bier stieg den jungen Leuten zu Kopfe und die Langeweile trieb sie zu leichtsinnigem Spiel. Sie formten aus den Resten der Mahlzeit ein Kegelspiel: Aus den Würsten die Kegel und die Kugel aus Brot. Dann rollten sie munter und ihr Johlen hallte durch den nächtlichen Wald. Da besann sich einer: „Pst, wir locken ja Räuber an!“ Die anderen lachten: „Wo sollen denn hier Räuber sein. Wir sind die Stärksten im Wald und unser Dorf das Einzige in dieser Gegend.“ Der Vorsichtige aber sah auf das Kegelspiel: „Wir sollten mit Essen nicht so umgehen. Denkt an den Winter, da fehlte es manchmal an Wurst und Brot.“ Die anderen lachten: „Aber heute haben wir genug, und im Winter kommt`s wie`s kommt.“
Der Mahner wollte nicht mittun und heimwärts schleichen.
Das wilde Spiel aber ging weiter. Einer hob die Kugel, drehte sich herum und wollte sie rückwärts durch die Beine rollen. Da ging ein Rauschen durch den Wald und ein Stöhnen, und ein eisiger Luftzug fuhr zwischen den Stämmen hindurch. Die Tiere hoben die Köpfe.
Ein kleiner Mann trat in die fröhliche Runde, hob mahnend die Arme und wiederholte die Worte des Jungen, der gehen wollte. Doch die anderen lachten nur und fuhren fort in ihrem frevelhaften Treiben.
Der Wind wurde heftiger, Sturm und Regen kamen auf und eisig wurde die Luft. Die Burschen erstarrten. Die Kugel fiel dem Werfer aus der Hand.
Schon fast auf dem Heimweg sah sich der siebente Knabe um und erstarrte auch.
Die Tiere drängten sich zusammen, warfen die Köpfe und brüllten. Sie zogen einen engen Wirbel und stampften ins Dorf zurück. Die Bauern erwachten und fingen die Tiere ein. Doch keiner wagte sich an diesem stürmischen Abend noch in den nächtlichen Wald.
Erst am Morgen zogen die Männer mit Waffen hinaus und die Frauen folgten ihnen bangen Herzens. Sie fanden ihre Jungen niemals mehr und keine Spur von ihnen oder von Brot und Wurst. An der Stelle aber, an der das nächtliche Lager aufgeschlagen war, standen sechs aufrechte Steine, ein siebenter, gebeugter, stand etwas abseits.
Und mit tränenvollen Augen meinte eine Mutter an einem der Steine die Sommersprossen ihres Sohnes in den Farben des Granits zu erkennen.
Ahnungsvoll mieden die Leute fortan die Stelle und auch das Vieh wollte dort nicht weiden. So blieben die Steine erhalten in der Gemeinsamkeit ihres Ringes für die Deutung in späteren Zeiten.
Einmal aber wollte ein Müller und Bauer Mut und Unerschrockenheit beweisen und holte sich einen der Steine für den Scheunenneubau. Doch es sollte keine Freude daran aufkommen. Heimlich wurde der Stein zu den anderen zurückgebracht: Aus dem Stein soll immer wieder Blut ausgetreten sein!
Später hat man immer wieder mal versucht, die Steine zum Bauen zu verwenden, aber wann immer ein Meißel angesetzt wurde, so stöhnte der Wind und sachte drang dünnes Blut aus der Schlagstelle.
So stehen sie noch heute und mahnen, sorgsam und achtsam umzugehen mit Hab und Gut: Spare in der Zeit, dann hast Du in der Not.
Autorin: Dorothea Wende