Die Schalkenburg
Hier gegenüber, gleich hinter der Kirche liegt eine geologische Besonderheit, eine Binnendüne. Ihr könnt die Herrenburger Binnendüne erreichen, wenn ihr Euch auf die Strasse nach Schattin begebt und hinter dem Ortsausgang rechts haltet.
Auf der Herrenburger Düne aber soll es nicht geheuer sein: An nebligen Tagen streift lautlos ein weißer Reiter auf einem weißen Pferd durch den Nebel, an stürmischen Tagen tobt ein schwarzer Reiter mit einem schwarzen Pferd darüberhin. Immer aber begleitet von einem heulenden Wolfshund.
Es sind die „Schalkenbrüder“, und mit denen hat es folgende Bewandtnis:
Lange Zeit bevor Gottes Wort hier in der Gegend gepredigt wurde, stand auf der Grönauer Scheide eine Burg. Auf der Burg lebten zwei Brüder, welche man die Schalken nannte. Sie waren immer für sich und hatten wenig Kontakt zu den Menschen. Sie sahen auch ganz eigentümlich aus. Jeder hatte nur ein Auge. Der eine nur das rechte, der andere nur das linke. Und dann war der eine ganz weiß und hatte schwarze Füße und der andere war ganz schwarz und hatte weiße Hände.
Was sie in der Burg trieben, konnte niemand erfahren. Am Tor lag ein riesiger Wolfshund und ließ niemanden herein.
Die Mädchen aus der Nachbarschaft kamen, um Gemüse, Brot oder Fisch zum Kauf anzubieten. Einer der Brüder kam hinaus und besah sich die Ware. Wagte sich doch mal ein neugieriges Ding weiter in den Hof, so bliesen ihr unheimliche Winde die Röcke über den Kopf, rissen Ranken an ihren Haaren und zwickten Steinchen an ihren Füßen. Solch ein Schabernack vertrieb die Neugierigen schnell.
Doch einem Mädchen, schön und frisch wie der Tau, fleißig und lieb, kauften die Schalken immer etwas ab und manchmal bekam sie auch mehr Geld als andere, manchmal sogar einen Silbertaler. Sie sammelte das Geld fleißig und als sie genug zusammen hatte, verlobte sie sich mit dem Sohn eines armen Fischers aus der Nachbarschaft. Die Beiden verband schon lange eine heimliche Zuneigung. Von dem Tag an aber war ihr Kommen bei der Burg umsonst. Niemals mehr konnte sie etwas verkaufen. Und als sie ihr Erspartes aus der Lade nehmen wollte um Hochzeit zu machen, da waren es lauter gelbe und graue Feuerkiesel.
Traurig ging sie zu einer weisen Frau und fragte um Rat. Diese aber konnte ihr nicht weiterhelfen. Sie warnte sie aber dringend vor den Schalken, denn diese seien ihr offenbar gram. Sie solle nicht mehr zu nahe an das Wasser gehen. Diesen Rat konnte das Mädchen wohl befolgen. Aber nun verdiente sie auch nichts mehr und musste sich beim Bauern verdingen. Ihr Bräutigam musste auf einem Schiff anheuern und als er auf große Fahrt ging, hörte Niemand mehr etwas von ihm.
Es vergingen die Jahre, das Mädchen wurde immer trauriger und stiller. Und eines Morgens kam das Mädchen an den Fluss, denn den Rat der weisen Frau hatte die Zeit längst abgeschliffen. Am Ufer aber sah sie den weißen Schalken sitzen und mit den schwarzen Zehen im Wasser spielen. Er fragte sie: „Warum kommst du nicht mehr zur Burg ?“
„Aber ich konnte doch bei euch nichts mehr verkaufen“, erwiderte sie traurig. Da lächelte der Schalk und sagte: „Das war wohl so. Ist aber jetzt vorbei. Komm ruhig wieder zu uns, wir kaufen dir wieder Fisch und Brot ab. Oder besser noch, komm zu uns in die Burg und führe uns die Wirtschaft. Dafür sollst du jede Woche einen ganzen Taler haben und schöne Kleider und Essen und Trinken ganz nach Begehr und…“
„Das möchte ich mir denn aber doch erst einmal ansehen. Sonst habt ihr doch niemanden in die Burg gelassen,“ unterbrach das Mädchen schnell. Sie war denn auch neugierig auf die Burg. Und deshalb erlaubte sie dem merkwürdigen Schalk sie auf die Arme zu nehmen und über das Wasser zu tragen. Aber kaum waren sie auf der anderen Seite, da sprang der schwarze Schalk herbei und zerrte an ihrem Arm. Die beiden rissen an ihr herum und ihr wurde Angst und Bange.
Mitten in dem gefährlichen Gerangel ertönte mit einem mal eine bekannte Stimme vom anderen Ufer und rief:
„Swattfot griep Wittpot
Wittpot griep Swatfot.“
Kaum war der Ruf erklungen, da ließen die beiden Schalken von dem Mädchen ab und begannen wild hintereinander zu jagen. Der eine versuchte die Füße des anderen zu ergreifen und seine eigenen Füße vor dem Zugriff des anderen zu bewahren. Eine wilde Jagd begann und der große Wolfshund jagte jaulend hinterdrein.
Das Mädchen aber erkannte am anderen Ufer seinen Verlobten und beide lagen sich in den Armen: „Nun erzähl doch bloß, wie ist es dir ergangen.“ Der junge Mann war um die ganze Welt gereist und hatte auf einer fremden Insel ein Erdmännchen getroffen, welches ihm diesen Spruch gewiesen hatte. Nun war er gerade rechtzeitig zurückgekehrt, um sein Mädchen vor Schaden zu bewahren. Er hatte auch etwas Geld erarbeiten können und davon gründeten die zwei die Fischerwirtschaft, aus der dann die „Fischerbuden“ an der Wakenitz entstanden sind.
Hätte er den Spruch dreimal gerufen, so hätte ihm sogar die Schalkenburg gehört. Aber hätte er sich auch nur um einen Buchstaben versprochen, so wäre es um sein Mädchen geschehen gewesen.
So lag die Schalkenburg nun brach und Mönche haben das Gut Falkenhusen auf dem Land angelegt. Die Schalken aber jagen noch heute in stürmischen Nächten über die Heide, begleitet von ihrem schwarzen Wolfshund.
Autorin: Dorothea Wende