Die Alte mit feurigen Augen

Eine kleine Brücke führte einst über den Scheidegraben, der Feldbrügger und Schlagsdorfer Fluren trennte. Unter der Brücke, so wurde es immer erzählt, soll eine sehr alte Frau mit feurigen, rotglühenden Augen gewesen sein. Sie trug langes, ganz blondes Haar und ein weißes Gewand. Zur Geisterstunde hat sie dort an ihrem Spinnrad gesessen und goldenen Flachs gesponnen. Wenn aber ein Leichenwagen über die Brücke fahren musste, dann hörte man das Surren des Spinnrades besonders deutlich. Bislang hatte die Alte aber keiner aus den umliegenden Dörfern zu Gesicht bekommen. Eines Tages hörte ein Neugieriger das Spinnrad und wollte die Alte sehen. Er bückte sich nieder um unter die Brücke schauen. Da bekam er einen heftigen Schlag auf den Hinterkopf, dass ihm Hören und Sehen verging und er das Bewusstsein verlor. Am nächsten Tage fand man ihn dort und Knechte brachten ihn nach Hause. Lange hatte er an den Folgen des Hiebes zu leiden, ehe er wieder seiner Arbeit nachgehen konnte. Unter die Brücke hat er nie wieder geschaut.

De Oll mit de gläunigen Ogen
Ein lütte Brügg güng eins öwer den Scheidegrawen, de twüschen de Feldbrügger un de Schlagsdörper Feller löppt. Ünner de Brügg, so hebben's ümmer vertellt, sall ein olle Fru mit fürig-rodgläunige Ogen setten hebben. Sei wier ein Flaßkopp, harr de Hoor heil lang, un dräg ein witte Kleed. Wenn't düster wier, tau Späukelstunn, hett sei dor an ein Spennrad setten un gulden Flaß spunnen. Man wenn ein Liekenwagen öwer de Brügg föhrn müßt, denn hett'n dat susen vun dat Spennrad sünnerlich lud un dütlich hürt. Bettau harr öwer nüms vun de Lüüd ut de Dörpers ümrüm de Oll tau seihn krägen.
Eins Dags hett denn öwer ein Kierl, de niegelig wier, dat Spennrad hürt un wull sik de Oll bekieken. Hei güng in de Knei, dormit hei ünner de Brügg schulen kunn. Upmal keem so ein dullen Schlag up sein Achterkopp dalsust, dat em Hüren un Seihn vergüng, em schwart vör Ogen würr un hei nix miehr marken ded. Annern Dag hebben's em dor funnen un weck Knechte hebben em na Hus bröcht. Lang Tied wier em noch heil kodderig taumaud un wier hei dörch den Schlag up den Kopp nich gaud tau Weg, vördem hei jichtenswann wedder sein Dagwark nahgahn kunn. Ünner de Brügg hett hei öwer nie nich wedder käken.

Quelle: Otto Kniepcke, Einblike Heft 1, KV Gadebusch
Übersetzung ins Plattdeutsche: Thomas Lenz

Die Alte mit feurigen Augen - Plattdeutsch

Die Alte mit feurigen Augen
Krembz

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